Hitler.Macht.Oper

Organisatoren
Forschungsinstitut für Musiktheater, Universität Bayreuth; Staatstheater Nürnberg; Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, Nürnberg
Ort
Nürnberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.06.2017 - 04.06.2017
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Von
Tobias Reichard, Forschungsinstitut für Musiktheater (fimt), Universität Bayreuth

Unter dem Titel „Hitler.Macht.Oper“ wurde in einer interdisziplinären Tagung das Musiktheater in Nürnberg zur Zeit des Nationalsozialismus in den Blick genommen. Im Zentrum stand die Frage nach Wechselwirkungen zwischen Stadt und Bühne, zwischen Ideologie und Ästhetik sowie zwischen künstlerischer und politischer (Selbst-)Inszenierung. Die Konferenz, die aus dem Forschungsprojekt „Inszenierung von Macht und Unterhaltung – Propaganda und Musiktheater in Nürnberg 1920-1950“ hervorging, wurde in Kooperation zwischen dem Forschungsinstitut für Musiktheater der Universität Bayreuth (fimt), dem Staatstheater Nürnberg und dem Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände veranstaltet.

HANS RUDOLF VAGET (Northampton) wies im ersten Panel zu „Ästhetik und Propaganda“ auf die in Wagners „Meistersingern“ konstruierten Leitbilder deutscher Kultur hin und fragte nach deren Adaptionen durch den Nationalsozialismus. Besonders anschlussfähig erwiesen sich laut Vaget das durch Hans Sachs verkörperte Bild des „Führers aus dem Volke“ und die in den „Meistersingern“ formulierte „deutsche Festkultur“ als Blaupause für die Gestaltung staatlicher Feiern im NS. Diese vielfältigen Anknüpfungspunkte machten die „Meistersinger“ zu einer der konsensfähigsten Kulturikonen des „Dritten Reichs“.

EVELYN ANNUß (Berlin) ging in ihrem Vortrag auf die akustische Führerinszenierung ein. Am Beispiel des „Tags von Potsdam“ und der Reichsparteitage untersuchte sie das minutiös geplante Zusammenwirken zwischen der stimmlichen Präsenz Hitlers über Lautsprecher und Rundfunk, den hörbaren Reaktionen der anwesenden Teilnehmer und der unterlegten Musik. Dennoch schlug Hitlers akustisch-mediale Propaganda zunächst nicht an, da das bisher vor allem an die visuellen Reize einer Live-Performance des „Führers“ gewöhnte Publikum mit dem rein klanglichen Eindruck lange Zeit nicht im gleichen Maße zu packen war.

Mit der Frage „Was lernte Hitler in der Oper?“ konzentrierte sich WOLFRAM PYTA (Stuttgart) gerade auf die Live-Performance Hitlers. Er unterstrich die besondere Bedeutung der stimmbildnerischen Ausbildung Hitlers durch den Sänger Paul Devrient für die Kommunikation mit den Massen. Ähnlich einflussreich waren Hitlers frühe Wiener Wagner-Erlebnisse, die seine kunstästhetische und später kunstpolitische Ausrichtung mitunter mehr prägten als Bayreuth. Pyta verwies dabei auf die besonderen Erkenntnispotentiale einer ästhetisch sensiblen Kulturgeschichte für die Geschichtsschreibung des Nationalsozialismus.

TOBIAS REICHARD (Thurnau) untersuchte am Beispiel der Reichsparteitage das Verhältnis von Wirkungsstrategie und Rezeption der NS-Masseninszenierungen. Dabei wurde deutlich, dass die von den Verantwortlichen angestrebte Überwältigung der Teilnehmer keineswegs so erfolgreich war, wie auch heute noch angenommen wird. Dies lag – neben den zahlreichen Mängeln bei Planung und Durchführung – vor allem daran, dass die Inszenierungen stets auf die privilegierte Perspektive des „Führers“ zugeschnitten waren und den Teilnehmern als Statisten des Geschehens die idealen Wirkungsbedingungen vorenthielten.

Auf die Bedeutung von Bühnenbildern und ihrer Erschaffer für Adolf Hitler ging MANUELA JAHRMÄRKER (Thurnau) ein. Am Beispiel der Leitausstellung „Das deutsche Bühnenbild 1933-1936“ zeigte sie, dass das Bühnenbild im Nationalsozialismus keineswegs nur auf eine Politisierung der Bilder zielte. Vielmehr lebte in den Bühnenentwürfen im NS auch eine Bildgebung fort, die durch Lichteinsatz, Reduzierung der Formen und eine am dramaturgischen Handlungsverlauf orientierte Gestaltung auf ein ästhetisches Ideal verwies, das bereits als „entartet“ gebrandmarkt worden war.
Die historische Figur des Hans Sachs und seine Darstellung in der Oper standen bei THOMAS KUCHLBAUER (Köln) im Mittelpunkt. Der Vergleich zwischen der Personenzeichnung in Wagners „Meistersingern“ und Lortzings „Hans Sachs“ – insbesondere vor dem Hintergrund einer künstlerischen „Führerinszenierung“ – machte deutlich, wo die Möglichkeit, aber auch die Grenzen der propagandistischen Vereinnahmung der Person und ihrer Darstellung auf der Bühne lagen. Insbesondere die dramaturgischen Eingriffe in das Werk Lortzings im Rahmen der Nürnberger Inszenierungen von 1935 und 1940 zielten auf eine ideologische Anpassung an das gängige Führerbild, die sich bei der Ikone Wagner von vornherein verboten.

Das Nürnberger Opernhaus und seine Stellung zu den Behörden des Regimes standen im Panel zu „Akteure und Propaganda“ im Mittelpunkt. DOMINIK FRANK (Thurnau) ging auf die Rolle der „Reichsdramaturgie“ unter der Leitung von Rainer Schlösser ein. Die Durchsetzung einer klaren ästhetisch-ideologischen Linie im Theaterbetrieb gelang ihr trotz weitreichender Befugnisse über den Zeitraum ihrer Existenz nicht. Das Beispiel der Nürnberger Reichsfestspiele von 1937/38 zeigte, dass die praktische Ausführung der von der „Reichsdramaturgie“ initiierten Veranstaltungen den Ansprüchen von Haus und Publikum nicht genügte. Doch obwohl die Vorstellungen der Festspiele vor halbleeren Sälen stattfanden, wurde das Bild der erfolgreichen Festspiele nach außen hin aufrechterhalten.

Aus dem Blickwinkel der historischen Netzwerkforschung untersuchte DANIEL REUPKE (Thurnau) den Personalbestand des Nürnberger Stadttheaters. Während es zwischen 1920 und 1947 große Kontinuitäten im technischen und Verwaltungspersonal gab, unterlag die künstlerische Belegschaft erwartungsgemäß stärkeren Schwankungen. Auch das am Opernhaus vertretene politische Spektrum war äußerst inhomogen: Die teilweise auf die Zeit vor 1933 zurückgehenden NS-affinen und oppositionellen Netzwerke innerhalb des Hauses blieben durch die Unterstützung von Innen („Support“) und die Anpassung an äußere Umstände („Resilienz“) auch nach 1933 weitestgehend erhalten. Politisch-ideologische Einflüsse des NS auf die Personalpolitik am Nürnberger Haus sind daher nur eingeschränkt nachweisbar.

Das Verhältnis von „Inszenierung und Propaganda“ verband Theater und Politik in der NS-Zeit und stand im Zentrum des folgenden Panels. Beide Aspekte zielten darauf ab, Menschen möglichst wirkungsvoll zu erreichen, so der Ausgangspunkt des Vortrags von SILVIA BIER (Thurnau). Doch stand hinter den Inszenierungen Strategie: Anstatt offensichtliche Bezüge zur Politik auf der Bühne zu fordern, gab sich das Regime als Kunstförderer im Hintergrund. So erklärt sich der überwiegende Eindruck der jüngst befragten Zeitzeugen, die das Nürnberger Theater zwischen 1933 und 1945 als durchweg unpolitisch beschrieben. Doch wurde das, was auf der Bühne zu sehen war, keinesfalls dem Zufall überlassen. Selbst der unpolitische Kunstgenuss war Teil der nationalsozialistischen Selbstrepräsentation.

ANNO MUNGEN (Thurnau) sprach über Wieland Wagners Tätigkeit für die Nürnberger Oper. Die künstlerische Sozialisation Wieland Wagners und die Rezeption in Nürnberg zeigten auf, dass er damals eine Scharnierfunktion erfüllte als Künstler, der das Erbe seines Vaters und Großvaters bewahren und weitertragen sollte. Als solcher wurde er vom Regime bereits früh gefördert, wobei die Inszenierungen des „Fliegenden Holländers“ (Altenburg) und des „Rings des Nibelungen“ (Nürnberg) kurz vor Kriegsende als wichtige Stationen zu werten sind.

Anlässlich der im Juni 2018 geplanten Eröffnung der Ausstellung zum Projekt im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände lieferte CHRISTIANE PLANK-BALDAUF (München) anhand verschiedener Konzepte Impulse zu Fragen und Herausforderungen beim Ausstellen von NS-Inhalten. Streben nach ‚Authentizität‘, Vermittlung von Wissen, pädagogischer Erzählanspruch, ‚Aktivieren‘ des Beobachters waren dabei die Kernthemen, die auch beim anschließenden Roundtable eine wichtige Rolle spielten. ANNO MUNGEN, CHRISTIANE PLANK-BALDAUF, ALEXANDER SCHMIDT (Nürnberg), MICHAEL SCHMIDL (München) und HERMANN FEUCHTER (Kassel) diskutierten gemeinsam über das Ausstellungskonzept, das im Rahmen des Thurnauer Forschungsprojekts im Juni 2018 realisiert werden soll.

Das gängige NS-Frauenbild der Ehefrau und Mutter stand deutlich im Widerspruch zu Bühnenfiguren wie Turandot, Carmen oder auch Salome, wie die beiden Studentinnen JASMIN GOLL und JANE EBAH RUWEJI-NEUMANN (Bayreuth) in ihrem Beitrag erläuterten. Doch hatte diese Ambivalenz zwischen der keuschen Hausfrau und der bedrohlichen Verführerin dennoch ihren Platz auf den Theaterbühnen des „Dritten Reichs“. Anhand von Sängerinnenbiographien aus dem Opern- und Operettenfach wurde die Frage diskutiert, welches Bild eine Sängerin in ihrem Fach sowohl auf der Bühne als auch privat erfüllen musste, sodass eine potenzielle Identifikation der Zuschauerrinnen mit der Künstlerin zustande kam. Dieses Verhältnis lässt sowohl Rückschlüsse auf die Besetzungspraxis der Zeit, wie auch auf die Darstellung der Künstlerinnen in der öffentlichen Medienkritik zu.

Topographische Besonderheiten standen im Zentrum des letzten Panels. MARTIN OTT (Bayreuth/Bamberg) stellte die Frage nach der Imagekonstruktion der Stadt Nürnberg in Zeiten des zunehmenden Tourismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Während in einem offiziellen Reiseführer von 1911 noch die Verkörperung einer fränkischen Identität und das Image einer kunst- und kulturfördernden Stadt als „Füllhorn kostbarer Objekte“ im Fokus stand, spielten diese Aspekte nach 1935 keine zentrale Rolle mehr. Wichtiger wurde die Emotionalisierung des Stadtraums, die Aufladung der urbanen Welt durch Stimmungen und Atmosphären und die propagandistische Darstellung der mittelalterlichen Altstadt als geschlossene Einheit im Sinne der „Volksgemeinschaft“.
Hitlers Meinung nach entfaltete die Oper ihre Wirkung erst in der dafür passenden Umgebung, so die Kernthese des Vortrags von SEBASTIAN WERR (München). Im Rahmen des umfassenden NS-Städtebauvorhabens sollten auch Theaterbauten einer Modernisierung und Umgestaltung unterzogen werden, in die sich Hitler häufig persönlich einschaltete. Dabei ging es vor allem um eine Glättung der Architektur des Jugendstils hin zu einem klassizistischen Baustil. Entscheidend waren dabei die Neugestaltung der Repräsentationsräume, der Einbau einer Führerloge, die schlichte Gestaltung des Zuschauerraums und die Monumentalität der Außenfassade im Dienste der propagandistischen Außenwirkung.

Welche Bedeutung theaterbaulichen Projekten gerade zu Kriegszeiten zukommen sollte, zeigte das Beispiel Luxemburg. Nach der Degradierung zur Kreisstadt durch die deutsche Besatzungsmacht sollte ein Theaterneubau die Stadt wieder aufwerten und „eindeutschen“. STEFAN HEINZ (Wittlich) zeigte, dass es bei dieser Aufwertung primär um die Auslöschung der luxemburgischen Identität und die touristische Nutzung der Stadt als Kultur- und Festungsstadt im Sinne eines deutschen „Kulturbollwerks“ in der westlichen Grenzlandregion ging. Zentral dafür waren die Pläne für den Neubau eines Theaters als „Akropolis“, die jedoch durch den Kriegsverlauf schließlich nicht mehr realisiert wurden.

Obwohl Hitler auch zu Weimar einen starken Bezug hatte, fanden die Reichsparteitage und auch die damit verbundenen Festaufführungen von Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ in der alten Reichsstadt Nürnberg statt. In seinem resümierenden Schlussvortrag erläuterte GERWIN STROBL (Cardiff), warum Hitler gerade die Werke Richard Wagners und nicht diejenigen Mozarts, Glucks oder Händels als Ikone der nationalsozialistischen Selbststilisierung auserkor. Seine Wahl Nürnbergs zum Austragungsort der Reichsparteitage als eine Art geographisches und kulturhistorisches „Gegen-Weimar“ war zugleich eine Entscheidung gegen die deutsche Klassik des 18. Jahrhunderts und für die im 19. Jahrhundert populäre „Reichsidee“, die in Wagners „Meistersingern“ idealtypisch zur Ausprägung gekommen war.

Sowohl die Beiträge als auch die intensiven Diskussionen machten insgesamt deutlich, welch zentrale Rolle dem Nürnberger Musiktheater in der Zeit des NS zukam. Obwohl die Nürnberger Oper eher zu den kleineren Häusern im „Dritten Reich“ gehörte, so stand sie durch die besondere Rolle Nürnbergs als „Stadt der Meistersinger“ und „Stadt der Reichsparteitage“ im Fokus des NS und beanspruchte einen einmaligen Sonderstatus. Die Ergebnisse der Konferenz werden in einem Sammelband veröffentlicht.

Konferenzübersicht:

1. Ästhetik und Propaganda

Hans Rudolf Vaget (Northampton): Deutschland – Meistersingerland

Evelyn Annuß (Berlin): Der Telefunken-Meistersinger. Zur akustischen Führerinszenierung

Wolfram Pyta (Stuttgart / Ludwigsburg): Was lernte Hitler in der Oper?

Tobias Reichard (Thurnau): Nationalsozialismus als Gesamtkunstwerk – Aspekte eines Forschungsparadigmas

Manuela Jahrmärker (Thurnau): Benno von Arent und das „deutsche Bühnenbild“

Thomas Kuchlbauer (Köln): Hitlers Hans Sachs: Der Schusterpoet in Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ und Albert Lortzings „Hans Sachs“ am Opernhaus Nürnberg

2. Akteure und Propaganda

Dominik Frank (Thurnau): Die „Reichsdramaturgie“ und die Nürnberger Oper

Daniel Reupke (Thurnau): Netzwerk Theater – Wechselwirkungen von Kultur- und Personalpolitik in der NS-Zeit am Beispiel Nürnberg

3. Inszenierung und Propaganda

Silvia Bier (Thurnau): Alles (nur) Theater? Inszenierungsstrategien auf und abseits der Bühne des Nürnberger Stadttheaters

Anno Mungen (Thurnau): Wieland Wagners Tätigkeit für die Nürnberger Oper

Christiane Plank-Baldauf (München): Den Schrecken ausstellen, geht das? Museumskonzepte zwischen Dokumentation, Vermittlung und unmittelbarem Erleben

Roundtable zur Museologie und Propaganda
Moderation: Dominik Frank (Thurnau)

Alexander Schmidt (Dokumentationszentrum Nürnberg) / Hermann Feuchter (Bühnenbildner, Kassel) / Anno Mungen (Thurnau) / Christiane Plank-Baldauf (München) / Michael Schmidl (Vizepräsident ADBK, München)

Jasmin Goll / Jane Ebah Ruweji-Neumann (Thurnau): Heimchen am Herd, Verführerin oder Weltretterin? Frauenbilder und Frauenbiografien am Nürnberger Stadttheater 1920-1950. Vorstellung des studentischen Teilprojekts der Mariann-Steegmann-Foundation

4. Topographie und Propaganda

Martin Ott (Bayreuth/Bamberg): „Des deutschen Reiches Schatzkästlein“. Imagekonstruktionen Nürnbergs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Sebastian Werr (München): Hitler als Theaterbaumeister

Stefan Heinz (Wittlich): Von der „Akropolis“ zur „Dortmunder Baracke“ – Die Pläne für ein Opernhaus in Luxemburg während der deutschen Besatzungszeit

Gerwin Strobl (Cardiff): Nürnberg ist nicht Weimar: Musiktheater und „Reichsidee“ im Nationalsozialismus

Abschlussdiskussion


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